Erich Kästner, alias Geist aus der Decke
Aufgrund der immensen Bekanntheit Erich Kästners ersparen wir uns hier eine ausführliche Biographie des Schriftstellers, der vor allem als Kinderbuchautor berühmt wurde. Stattdessen gehen wir primär nur auf diejenigen Dinge ein, die der Öffentlichkeit bis dato weitestgehend unbekannt geblieben sind und zugleich ein Licht auf das Verhältnis Erich Kästners zu seinem engsten Freund Professor Leo Levitan und die Levitan-Zwillinge Jule und Franzi werfen. Wie allgemein bekannt, war Erich Kästner bezüglich seines Privatlebens zeitlebens sehr verschwiegen. Wir beglückwünschen ihn dazu! Lebensdaten Erich KästnersErich Kästner wurde am 23. Februar 1899 in Dresden geboren. Von 1903 bis 1913 besuchte er die Volksschule und von 1913 bis 1917 das Freiherrlich von Fletscher’sche Lehrerseminar sowie das Strehlener Lehrerseminar. 1917/1918 leistete er seinen Militärdienst. Nach dem Abitur 1919 studierte Kästner am König Georg Gymnasium in Dresden, an der Universität Leipzig und kurzzeitig auch in Rostock und Berlin Germanistik, Geschichte, Philosophie, Theatergeschichte, Zeitungskunde, französische Literatur. Aufgrund der Inflation und seiner schwierigen finanziellen Situation nahm Kästner in dieser Zeit mehrere Nebenjobs an. So arbeitete er unter anderem als Werkstudent im Messeamt der Leipziger Messe, verkaufte Parfüm, war Hilfsbuchhalter bei der Städtischen Baugesellschaft und sammelte die Börsenkurse für einen Buchmacher. Die enge Freundschaft Erich Kästners und Leo LevitansIm Jahre 1921 wechselte Erich Kästner von Leipzig, gemeinsam mit seiner damaligen großen Liebe Ilse Julius, zunächst zum Sommersemester an die Rostocker Universität und dann für das Wintersemester ohne Ilse an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, um dort Germanistik und Geschichte zu studieren. In dieser Zeit lernte Kästner Professor Leo Levitan kennen, der dort als Privatdozent tätig war und ansonsten das Leben eines wohlhabenden Privatiers führte. Erich Kästner war zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre und Herr Levitan bereits 36 Jahre alt. Weder die vierzehn Jahre Altersunterschied noch die unterschiedliche soziale Herkunft standen der Freundschaft der beiden im Wege. Denn hier hatten sich zwei im Fühlen und Denken seelenverwandte Menschen gefunden, deren Herzen quasi im Gleichklang schlugen. Wie Leo Levitan, so war auch Erich Kästner ein überzeugter Pazifist. Doch vor allem waren es ihre Ansichten zu Kindern und deren Rolle in der Gesellschaft, die ihre lebenslange enge Freundschaft begründeten. Levitans diesbezüglicher Leitspruch „Lasst euch die Kindheit nicht austreiben“ findet sich zwölf Jahre später wortwörtlich in Kästners Kinderroman „Das fliegende Klassenzimmer“ wieder. Kästner wie Levitan hatten einen transparenten Zugang zu dem eigenen inneren Kind und beiden diente dieser Blick mit den Augen des Kindes nach innen und außen als Leitfaden und Richtschnur durch die Höhen und Tiefen des eigenen Lebens. In den ersten fünf Monaten vermittelte Leo Levitan dem Freund seine Schlüsseltheorie, dass die Welt einzig durch die Kinder gerettet werden könne. Denn allein die Kinder vermögen noch ihre innere Stimme zu hören und verfügen derart über das untrügliche Wissen von Gut und Schlecht, darüber wie die Welt eigentlich sein müsse bzw. wie sie dereinst gewesen war. Und nur auf dieser Basis konnte ihre Vernunft die richtigen Schlüsse ziehen und sinnvolle Entscheidungen treffen. |
Durch Leo Levitan lernte Herr Kästner 1927 auch die verwitwete Verlegergattin Edith Jacobsohn kennen, deren Familie eng mit der Familie Levitan noch aus schlesischer Zeit verbunden war. Ediths Vater Max Schiffer, der wiederum mit Rahel Berggruen, der Großtante Herrn Levitans verwandt ist, hatte unter anderem die Villa Herrn Levitans in der Victoriastraße im Tiergartenviertel gebaut. Und wie ihr sechs Jahre älterer Freund Leo Levitan verfolgte auch Edith Jacobsohn die Vision, gemeinsam mit den Kindern die Welt zum Besseren zu wenden. Auf Anregungen Herrn Levitans und seines engen Freundes, dem Verleger Bruno Cassirer, gründete Edith Jacobsohn im April 1924 mit zwei Freundinnen, Edith Weinreich-Williams und Annie Williams, deshalb einen Verlag für Kinderliteratur, den Williams-Verlag, den sie nach dem Ausscheiden der Freundinnen noch im selben Jahr allein weiterführte. Bereits 1922 hatte Leo Levitan Edith Jacobsohn begeistert von Erich Kästner berichtet und ihr 1926 mehrere Artikel, Geschichten, Gedichte für Kinder aus seiner Leipziger Zeit für die Kinderbeilage der Familienzeitschrift „Beyers für alle“ übergeben. 1927 bat Herr Levitan seine Vertraute Edith Jacobsohn, seinen Freund Erich Kästner mit allen Mitteln zu fördern und ihm die Publikation eines ersten Kinderbuches zu ermöglichen. So wurde Herr Kästner nach einem gescheiterten Versuch beim Ullstein Verlag (zu den vermutlichen Gründen siehe Glossar „Hieronymus Schneidewind“) zunächst Autor von Edith Jacobsohns berühmter „Weltbühne“. Und 1928 löste Edith auch das Versprechen zu dem ersten Kinderbuch Erich Kästners ein: „Es fehlt an guten deutschen Autoren. Schreiben Sie ein Kinderbuch, mein lieber Kästner!“, sagte sie anlässlich eines „Weltbühne-Teenachmittags“, wobei sie dabei schelmisch zu Herrn Levitan hinüberblickte. Das Ergebnis war das Erfolgsbuch „Emil und die Detektive“. Was Edith Jacobsohn und Leo Levitan nicht wussten: Erich Kästner hatte bereits Ende 1926 seinen ersten Kinderroman geschrieben „Auf dem Rücken der Weisen Schildkröte – oder Warum das Ende vor dem Anfang kommt“, bei dem es sich noch dazu um einen Tatsachenbericht der Levitan-Zwillinge handelte.[1] Und dieses große Geheimnis kannten bis zu der geheimnisvollen Nacht, in der mir Erich Kästner als Geist erschien,[2] nur Jule und Franzi, sowie der unselige Lektor Hieronymus Schneidewind. So wurden für Kästner die ersten Jahre in Berlin durch die Unterstützung Leo Levitans, Edith Jacobsohns und nicht zuletzt auch der Levitan-Zwillinge Jule und Franzi Levitan die produktivsten seines Lebens, in denen gemäß Leo Levitans Idee der „Weltrevolution der Kinder“ folgerichtig seine wesentlichen Kinderromane entstanden: - „Auf dem Rücken der Weisen Schildkröte oder Warum das Ende vor dem Anfang kommt“ (1927 unveröffentlicht), - „Emil und die Detektive“ (1928) - „Pünktchen und Anton“ (1931) - „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) Es ist schon eine seltsame Sache, dass Herr Levitan eine Weltrevolution der Kinder propagierte, ohne dabei zu wissen, dass seine eigenen Kinder Jule und Franzi ganz in seinem Sinne bereits eine abenteuerliche Reise durch die Ebenen und Welten unternommen hatten, um eben diese Welten zu verstehen und zum Besseren zu wenden. Erich Kästner, der Geist aus der DeckeBis zum heutigen Tage muss ich immer wieder an meine ganz und gar unglaubliche Begegnung mit Erich Kästner denken, die mein Leben in jener geheimnisvollen Nacht so einschneidend veränderte. Ja, in der ein oder anderen stillen Stunde ist es mir gar, als würde Herr Kästner noch immer um mich herumschleichen, aus seiner fernen Welt in die unsere blicken, als ob ihr Schicksal ihn noch immer nicht losgelassen hat. |