Wahrnehmungsorgan in der Höhe der Bauchgegend

Unmittelbar nachdem der Gelbe Delphin Jule in die elfte Ebene gebracht hatte, erlebt sie erstaunliche Wahrnehmungsphänomene, die irgendwie mit ihrem Elfenkörper zusammenhängen. Insbesondere hat sie dabei das Gefühl, als schlüge in ihrer Bauchgegend ein warmes teilnehmendes Herz, durch welches mit jedem Schlag kleine vibrierende Energiestöße wohlig durch ihren Körper strömten. Jule empfand es als eine Art neues Wahrnehmungsorgan, mit dem sie sich und die ganze Welt zu ergreifen vermochte.[1] Zum zweiten Mal dann spürt sie dieses Wahrnehmungsorgan in der gelben Nebelwand, wobei sie es diesmal sogar genau lokalisieren konnte. Es befindet sich etwa einen halben Meter vor ihrem Bauchnabel außerhalb ihres sichtbaren Körpers.[2]
Der Elfenkörper ist eine spezielle Form des Energiekörpers, dem eigentlichen Körper aller Lebewesen. Dieser Körper ist raum-zeitlos, flüchtig und unendlich beweglich und endet nicht mit der Grenze des sichtbaren Körpers. Der Energiekörper ermöglicht die Wahrnehmung der Welt, wie sie wirklich ist – das heißt als eine gleichfalls unendlich flüchtige Energieerscheinung, die sich unaufhörlich bewegt und verändert. Der grobe physische Körper der Menschen der fünften Ebene ist viel zu träge, um diese unendlich feinen, schnellen Veränderungen wahrzunehmen und projiziert stattdessen seine dauerhaften Vorstellungsbilder in die „Außenwelt“.
Im Zentrum des hochschwingenden Energiekörpers, in der Nähe des Bauches des physischen Körpers, befindet sich tatsächlich ein Wahrnehmungsorgan. Es handelt sich hierbei um das älteste bzw. ursprünglichste Wahrnehmungsorgan der Lebewesen, das deshalb Wahrnehmungsorgan und Fortbewegungsorgan in Einem ist. Denn Wahrnehmung bedeutet im ursprünglichen Sinne „sich bewegen“, „sich fortbewegen“, „etwas begreifen oder ergreifen“. Dieser Ursprung ist noch heute in den aktiven Begriffen zu erkennen, die wir für diese Tätigkeit verwenden wie wahr-nehmen, be-greifen, er-fassen, ver-stehen etc. Dieser Prozess des aktiven Wahrnehmens ist jedoch nicht nur abbildend, sondern zugleich konstruktiv. 

   Deshalb empfiehlt der Gelbe Delphin auch Jule, die Dinge nicht mit den Augen zu fixieren, sondern vielmehr mit dem Bauch wahrzunehmen, da die Dinge sich durch jene Blickfixierung verstärkt in ihrer Gestalt verändern. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine Art Fluchtverhalten der derart durch den Blick fixierten Energiewesen.

Die Wahrnehmung mit dem Bauch hingegen ist eine dynamische Wahrnehmungsweise, die sich jeder, auch der kleinsten Veränderung der äußeren Erscheinungen anpasst.
Das Wahrnehmungsorgan des Energiekörpers lässt sich bis zu einem gewissen Grad sogar beschreiben: Lebewesen die reine Energie zu „sehen“ vermögen, nehmen die Menschen als leuchtende Wesen war, bestehend aus einer Art kreisender Lichtfasern, die ein eiähnliches Gebilde formen. Aus diesem leuchtenden Ei tritt in Bauchhöhe ein Bündel langer Lichtfasern heraus, die von größter Wichtigkeit sind. Denn mit ihnen können sich die Lebewesen nicht nur auf unvorstellbar grandiose Art und Weise fortbewegen, sondern zugleich auch die Dinge um sich herum als das wahrnehmen, was sie wirklich sind – nämlich lebendige Energie.
Schwache Menschen haben sehr kurze, nahezu unsichtbare Lichttentakeln, starke Menschen wie Jule hingegen lange, hell strahlende Tentakeln immenser Dicke.
Die Lichttentakeln ermöglichen aber auch für jeden Sehenden zu erkennen, ob ein Mensch gesund oder krank, aggressiv oder freundlich, ehrlich oder betrügerisch ist. Und natürlich kann man mit ihnen sehen, ob der andere ebenfalls zu sehen vermag oder nicht.


[1]  Siehe Kap. „In der elften Ebene“.

[2]  Siehe Kap. „Fremde Gedanken: In der Gewalt des Drachen Morsus“.


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